Der amerikanische Konzern Lockheed Martin macht fast sein gesamtes Geschäft
in der Rüstungsindustrie und mit den US-Behörden – etwa mit den Kampfjets
F-22 Raptor oder F-35. Der Bau von Passagierflugzeugen ist schon Jahrzehnte her. Nun
jedoch zeichnet sich eine Rückkehr ins zivile Fluggeschäft ab. Ausgerechnet mit Luftschiffen, einem der ältesten Fluggeräte. Auf der Luftfahrtmesse in Le Bourget gab Lockheed das Interesse eines Kunden an zwölf Luftschiffen im Wert von insgesamt 500
Millionen Dollar bekannt.
Es wäre die von Luftschiff-Enthusiasten lange ersehnte und von diversen Unternehmen
schon häufig verkündete Rückkehr der schwebenden Riesen. Bereits 2006 gelang
Lockheed der Erstflug seines Prototypen P-791. Das gescheiterte deutsche
Luftschiffunternehmen Cargolifter nannte in seinem Börsenprospekt aus dem Jahr
2000 Lockheed bereits als möglichen Konkurrenten. Cargolifter ging pleite, das
Lockheed-Luftschiff jedoch überlebte.
Das neue Fluggerät ist ein Hybridmodell: 80 Prozent des Auftriebs werden durch die
Form und nur 20 Prozent durch Helium im Inneren der Hüllen gewonnen. In der
Rüstungsindustrie fand Lockheed keinen Kunden für sein 40 Millionen Dollar teures
Modell. Um Zivilkunden auf das Projekt aufmerksam zu machen, wurde eigens eine
Tochter namens Hybrid Enterprises gegründet.
Direkte Konkurrenz zum Airlander 10
Deren Chef Rob Binns ist überzeugt, dass Lockheed seine Luftschiffe auch verkaufen
wird. Im März 2016 hatte die britische Gesellschaft Straitlight Aviation eine
Grundsatzvereinbarung (LoI) über zwölf Exemplare unterzeichnet. Jetzt kommt als
zweiter Kunde das Start-up Hybrid Air Freighters (HAF) mit Sitz in Paris dazu und
bekundet ebenfalls Interesse an zwölf Exemplaren.
Bereits in den „nächsten Monaten“ erwartet Binns einen Festauftrag, um mit dem Bau
des Luftschiffs LMH-1 zu beginnen. Es soll 82 Meter lang und größer sein als der
aktuelle Prototyp. Der Bau werde 18 Monate dauern. Weitere zwölf Monate werden für
Zulassungstests veranschlagt. „Wir könnten in 30 Monaten liefern“, sagt Binns. Das
Luftschiff soll 21 Tonnen Fracht und zusätzlich 90 Passagiere transportieren können.
Es gibt aber auch schon Ideen für eine Version mit gewaltigen 90 Tonnen Fracht.
Lockheed macht mit seinen Plänen dem britischen Unternehmen Hybrid Air Vehicles und dessen Hybridluftschiff Airlander 10 Konkurrenz. Mit 92 Meter Länge ist es das
aktuell weltgrößte Fluggerät. Mit dem Airlander-Projekt will die Firma voraussichtlich
im Frühjahr 2018 an die Börse gehen, um Geld einzusammeln. Lockheed-Manager
Binns dagegen betont, dass sein Konzern kein Geld von Anlegern benötige, um eine
Produktion aufzubauen, weil ein Großkonzern mit Entwicklungsmacht hinter dem
Projekt stehe.
Der britische Rivale bleibt sich trotzig
Die Konkurrenz des britischen Luftschiffhersteller gibt sich noch gelassen. Chris
Daniels, Sprecher von Hybrid Air Vehicles, erklärt im Gespräch mit der WELT, dass es
nicht der Stil seines Unternehmens sei, bereits einen Vorvertrag und nicht erst einen
Festvertrag anzukündigen. Über den potenziellen Käufer gebe es praktisch keine
Informationen. „Sie sind fast irrelevant für uns“, sagte der Sprecher über die
Konkurrenz aus den USA – etwas trotzig.
Er deutete zudem an, dass der Lockheed-Finanzchef den Bau von Luftschiffen über 500
Millionen Dollar nicht freigeben werde, wenn die Finanzierung nicht komplett
abgesichert sei. Zudem sei der Airlander 10 ein Luftschiff, dessen Größe schon
feststehe, während der kleinere Lockheed-Prototyp zuletzt vor elf Jahren geflogen sei. Das Projekt sei zwar ein Signal, dass es einen Markt für Luftschiffe gebe. „Das wenigste,
was wir seit Cargolifter brauchen, sind Ankündigungen, die sich nicht erfüllen“,
schränkte der Sprecher jedoch ein. Luftschiffprojekte seien auf eine gesicherte
Finanzierung angewiesen.
Läuft alles nach Plan, soll der Airlander 10 etwa Mitte 2019 für einen Erstkunden
einsatzbereit sein. Hybrid Air Vehicles hat noch nicht verraten, wer es sein könnte,
doch der Sprecher rechnet mit Interesse aus dem Rüstungs- oder Behörden-Umfeld.
Selbst einen Kauf durch das US-Militär hält er für möglich. Kunden aus der Wirtschaft
scheuten dagegen oft das Risiko einer Neuentwicklung. „Die ersten Einsätze werden
nicht für Fracht-, sondern für Überwachungsmissionen sein“ – also etwa
Grenzkontrollen. Das Luftschiff könne fünf Tage in der Luft bleiben. In einem zweiten
Schritt könnte eine Frachterversion für 50 Tonnen mit 120 Meter Länge entwickelt
werden.
Von Gerhard Hegmann, Gesche Wüpper, Paris | Veröffentlicht am 22.06.2017
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